2016-02-16

Wenn die Zeit stillzustehen scheint:


Diese verflixte Zeit!

 

Täglich sehe ich aus meinem Fenster im Neunten Stock. Winter sollte jetzt sein, Winter, der die Landschaft unter einer Schneedecke ruhen läßt. Aber Winter fällt diesmal wohl aus. Na, vielleicht gibt es als Ersatz wieder ein heftiges Hochwasser.

Ich selbst kann zur Zeit nicht ruhen. Denn mir vergeht die Zeit viel zu langsam. Eigentlich vergeht sie gerade überhaupt nicht. Sie steht still, scheint stillzustehen. Die Tage vergehen einfach nicht. Gestern war doch auch schon Mittwoch, und heute ist noch immer Mittwoch. Der Freitag ist so ewig hin, so weit entfernt, so ewig … Und bis das nächste Wochenende erst vergangen sein wird … Ist – wie die ausfallenden, durcheinandergewirbelten, verlängerten und verkürzten Jahreszeiten andeuten – die ganze Zeit aus den Fugen geraten? Ist Zeit überhaupt ohne einen erkennenden Geist existent, d. h. gibt es die Zeit auch, wenn sie nicht gemessen, nicht zum Vorher-Nachher-Vergleich genutzt wird? Also wenn die reale Existenz der Zeit von ihrer Beobachtung abhängig ist, dann kann auch nichts aus den Fugen geraten sein. Dann ist Zeit aber auch etwas individuelles, situatives. Und dann muß Zeit für jeden und in jedem Augenblick anders sein, anders verlaufen, unterschiedlich empfunden werden.

Daher kommt es, daß mir noch einige Tage spritzig wie ein Leimeimer erscheinen werden. Danach kommen Tage, die mir wie Minuten in Erinnerung bleiben werden. Und nach diesen sehe ich wieder täglich aus meinem Fenster im Neunten Stock. Sehe die Wiese und die Bäume noch immer ohne Schnee. Sehe irgendwann mehr Grün. Höre die Füchse wieder und die Milane. Und wundere mich wie jetzt über das langsame Vergehen der Zeit. Stelle fest, daß ich in der Schneckentempophase trotzdem fast nichts schaffe, erledige. Die höchste Leistungsbereitschaft und Kreativität habe ich dann, wenn die Zeit eilt …

Paradox. Dieser ganze “wissenschaftliche” Zeitbegriff, der in den menschlichen Alltag eingedrungen ist und sich da verfestigt hat, erscheint mir nicht menschlich. Er macht, daß der Rhythmus des menschlichen Lebens an den Rhythmus der kapitalistischen Industriegesellschaft angepaßt ist, in eine Marktkonformität gezwungen wurde und wird. Da lobe ich mir, weil ich aus dem Wertschöpfungsprozeß ausgegliedert wurde, meine Verfügungsfreiheit über meine Zeit. Auch wenn sie deshalb manchmal nicht vergehen mag und ich gefühlte Ewigkeiten auf Dinge und Ereignisse warten muß, auf die ich neugierig bin, nach denen ich mich sehne, die ich mir herbeiwünsche.

 

Eine Zeitmaschine würde mir bei meinen Problemen auch nicht helfen. Aber vielleicht ein funktionierender Transporterraum wie im Raumschiff Enterprise?

 

In diesem Sinne: Bis vorgestern.

© 2016 - Der Emil