Nicht mehr. Kein Ort. Nirgends.
Zum Tode Christa Wolfs am 1. Dezember 2011
Ich wurde siebzehn, als mir mit freundlicher Hilfe seiner Mutter, meiner Deutsch- und Englischlehrerin an der POS, ein Schulfreund zum Geburtstag ein schmales Büchlein schenkte.
Diese Büchlein habe ich seither sicher hundert Mal gelesen. Fast jeden Satz habe ich irgendwann einmal als wichtiges Zitat herausgeschrieben, angestrichen, weitergegeben. So steht es noch heute tief in meinem Bücherschrank: Benutzt, etwas angeschmutzt, mit heftigen Lesespuren.
Die Erstauflage «Christa Wolf: Kein Ort. Nirgends.» Von 1979.
Habt ihr ihren ersten Satz gelesen? «Die arge Spur, in der die Zeit vor uns wegläuft.» Jetzt mußte sie, Christa Wolf, aus der Zeit gehen. Jetzt steht sie nicht mehr am Fenster, vorm Fernseher im Hotel in Kalifornien, unterm geteilten Himmel. Nicht mehr als Kassandra, nicht mehr als Medea.
Aber als Erinnerung.
Das Buch «Kein Ort. Nirgends.» nutzte ich 1982 im Freien Thema beim Abituraufsatz an der EOS. Ich philosophierte (ja, tatsächlich) an seinem Text über die Zerrissenheit des heutigen (damaligen) Menschen (Biermann!). «Thema verfehlt!» Nur eine 4 …
Heute besitzte ich fast alle Bücher von Christa Wolf. Gelesen habe ich alle.
Doch «Kein Ort. Nirgends.» bleibt besonders: Es führte mich zu Kleist und zur Günderrode, zu Achim von Arnim und Clemens Brentano. Sogar zu Anna Seghers.
† Am 1. Dezember 2011 starb Christa Wolf im Alter von 82 Jahren in Berlin. Streitbarer, fehlbarer Mensch. Beeindruckende Autorin wunderbarer Bücher.
Neue Werke von ihr wird es nicht mehr (viele) geben.
In diesem Sinne: Ich trauere wirklich um sie.
6 Kommentare:
Ich kannte sie nicht - bis jetzt - und es berührt mich. Ihr Tod. Die Zitate. Genau mein Ding. Mein Gefühl. Kaufe ich.....
Deine Schmedderling
Kauf doch nicht gleich. Es soll Bibliotheken geben ;-)
Ich kannte sie auch nicht obwohl ich aus der DDR komme, habe aber irgendwann einmal einen Bericht über sie und mit ihr im TV gesehen. Ich finde die Zitate toll. Aber noch besser finde ich , dass du die gleiche Angebwohnheit hast wie ich. Ist mir gerade eben aufgefallen. Du machst Eselsohren ins Buch um dich zu erinnern, wo du aufgehört hast zu lesen. Das finde ich Spitze;)))
Liebe Grüße
Danny
Mein "Kein Ort. Nirgende" ist ähnlich zerlesen, zuerunterstrichen und mit zahlreichen Eselsohren behaftet. Mehr noch: Ich kaufte es mehrmals und verschenkte es von mir unterstrichen, auf dass der künftige Rezipient erfahren könne, was ich denke und fühle, so aber wie Christa Wolf nicht ausdrücken kann.
hallo emil,
interessant, dass du in einem ähnlichen alter, aber zu ganz anderen umständen (noch zu ddr-zeiten) mit ihrem werk in kontakt gekommen bist wie ich. und wie toll, dass du damals schon ihre kritischen gedanken bemerkt hast. habe auch ständig das bedürfnis, sätze von ihr zu unterstreichen.
lg, laura
Die Art und Weise, mit dem Tod der großen Autorin umzugehen, diese persönlichen Dinge, das bedruckte Papier, die ausgesuchten Stellen, das Unterstrichene, gefällt mir sehr, ist anrührend- auch die Erinnerungen an den Schulaufsatz. Bei einem anderen Deutschlehrer hättest Du vielleicht die Note Eins bekommen...
Sie war nicht ganz unspröde, die Frau W. -
Gruß von Sonja
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